Schilf-Glasflügelzikade
Schilf-Glasflügelzikade – Bedrohung für Hackfruchtanbau?
Höhere Temperaturen im Zuge des Klimawandels begünstigen Einwanderung und Vermehrung von immer neuen Pflanzen-Schädlingen. Jüngstes Beispiel, das besonders Ackerbauern derzeit stark verunsichert: Die sogenannte Schilf-Glasflügelzikade (Pentastiridius leporinus). Mit welchen Schäden zu rechnen ist und was betroffene Landwirte tun können, stellen wir in diesem Beitrag zusammen.
Unter zunehmend günstigen klimatischen Bedingungen und dem Vorhandensein von Wirtspflanzen hat sich der Schädling seit einigen Jahren, aus Frankreich kommend, von Südwest-Deutschland immer stärker nach Norden ausgebreitet. Mittlerweile kommen die Schilf-Glasflügelzikaden nahezu im ganzen Bundesgebiet vor. Noch scheint es Anbaugebiete zu geben, in denen die Zikaden zwar vorkommen, jedoch nicht mit Krankheitserregern aufgeladen sind.
Entwicklungszyklus
Ab Mitte Mai bis in den frühen Herbst führen adulte Zikaden in Hackfruchtregionen zu Saugschäden. Nach drei- bis viermonatiger Flugphase im Spätfrühling und Sommer legen adulte Zikaden ihre Eier, vorzugsweise nah am Rübenkörper in den Boden. Die aus Eigelegen schlüpfenden Larven, auch als Nymphen bezeichnet, durchlaufen einen charakteristischen Entwicklungszyklus. Die sehr bodenmobilen und frostfliehenden Nymphen überdauern im Wintergetreide, das einen bevorzugten Winterwirt darstellt. Im folgenden Jahr schlüpfen aus den Nymphen adulte Zikaden, die Sommerungen, vor allem Hackfrüchte und Wurzelgemüse einfliegen. Folgend ein Überblick über den Entwicklungszyklus:

Abb. 01: Lebenszyklus der Schilf-Glasflügelzikade (Quelle: BIZ 2025, siehe auch: https://www.praxis-agrar.de/pflanze/ackerbau/pflanzenschutz/neue-strategien-gegen-die-schilf-glasfluegelzikade-und-die-ruebenkrankheit-sbr)
Schäden durch adulte Zikaden und überwinternde Nymphen
Schlimmer als die Schäden durch Saugaktivitäten adulter Tiere sowie Fraßschäden der Nymphen wiegen die dabei übertragenen Bakterien (vor allem Candidatus Arsenophonus phytopathogenicus [ARSEPH]) und Stolbur Phytoplasmen (vor allem Candidatus Phytoplasma solani [PHYPSO]). Stolbur Phytoplasma nehmen die Zikaden ausschließlich durch Saugaktivitäten an befallenen Pflanzen auf. Protobakterien können schon über die Eiablage an Nachkommen übertragen werden.
… in Zuckerrüben
In Zuckerrüben löst ARSEPH die sog. SBR-Krankheit aus. SBR steht für „Syndrome Basses Richesses“. Dies bedeutet „Syndrom verringerter Zuckergehalte“. Bis zu 60 %ige Ertragseinbußen und um bis zu 30 % reduzierte Zuckergehalte können Folge eines Befalls sein. Sichtbar großflächig auftretenden lanzettlich-schmalen Herzblätter sowie stark verbräunte Leitbündel im Innern der Rübe offenbaren die Schäden.
… und auch in Kartoffeln
Im Kartoffel-Anbau verursacht vor allem ARSEPH die sog. Bakterielle Knollenwelke. Die Folge sind Ertragsverluste, viele kleine Gummiknollen sowie Schwierigkeiten bei Lagerung und Weiterverarbeitung.
Schadpotential in weiteren Kulturarten
Auch zahlreiche Wurzelgemüsearten, vor allem Möhren, Zwiebeln, Sellerie und Rote Beete werden durch Schilf-Glasflügelzikaden geschädigt. Die insgesamt in Deutschland akut betroffene Anbaufläche von Hackfruchten und Gemüse wird mittlerweile auf über 100.000 ha geschätzt. Besonders problematisch: Die Zikade entdeckt immer weitere Kulturarten als mögliche Wirtspflanze. Folgende Tabelle fasst das bisher beobachtete Auftreten an verschiedenen Kulturpflanzen zusammen.
Tabelle 01: Stand des Wissens zum Auftreten der Schilf-Glasflügelzikade und ihrer Nymphen an Kulturpflanzen
Bedeutung im Lebenszyklus | Kulturen |
| Zuckerrübe, Kartoffel, Mangold, bestimmte Unkräuter |
| Zwiebel, Paprika, Tomate, Rhabarber, Erdbeere, Sellerie |
| Weizen, Gerste, Ramtillkraut, bestimmte Unkräuter |
| Ölrettich, bestimmte Senfarten, Sojabohnen |
Quelle: BIIZ 2025 und Lang et al. 2025, siehe auch: https://sugarindustry.info/paper/33023/
Möglichkeiten zur Bekämpfung
Toleranzen bestimmter Zuckerrübensorten gegenüber ARSEPH sind bekannt. Keine Toleranz- oder Resistenzeigenschaften sind bisher gegen PHYPSO entdeckt worden. Daher arbeiten Forschung und Züchtung mit Hochdruck an resistenten Sorten. Solange diese noch nicht auf dem Markt sind, sollten sich betroffene Anbauer bestmöglich mit einer Kombination möglichst vieler, breit gestreuter Instrumente zur Bekämpfung bedienen. Effektiv ist es, in Befallsregionen die im Boden überwinternden Nymphen der Zikaden durch Entzug potenzieller Nahrungsquellen auszuhungern und Bestände so zu dezimieren. Ansatzpunkte zum Aushungern und Dezimieren der Bestände gibt es einige.
Bekämpfungsmöglichkeiten Schilf-Glasflügelzikade
- Kulturführung: konkurrenzstarke Hackfruchtbestände durch standortangepasste Aussaat, Pflege und Bestandsführung
- Fruchtfolge: Auf keinen Fall zwei Hackfrüchte in direkter Folge anbauen. Auch auf Winterungen nach Kartoffeln und Winterweizen nach Zuckerrüben sollte verzichtet werden. Wintergetreide stellt einen geeigneten Zwischenwirt für Nymphen dar. Vorteilhaft wirken sich spät zu säende Sommerungen, vor allem Mais und Sojabohnen, oder auch Schwarzbrache aus. Bodenruhe ist der entscheidende Faktor zum Aushungern der Nymphen. Diese wirkt effektiver als eine intensivierte oder vertiefte Bodenbearbeitung, die zudem den Kraftstoffbedarf erhöht und Mineralisationsgeschehen fördert
- Zwischenfrüchte: Ölrettich, welcher eine geringe Vermehrung erwarten lässt, scheint die Zwischenfrucht der Wahl zu sein. Die Zeit zwischen Getreidevor- und Hack-Nachfrucht bietet eine ausreichende Zeitspanne zur Etablierung guter Ölrettich-Bestände. Auch an Gelbsenf wurden geringe Überlebensraten der Nymphen festgestellt. Besonders im Kartoffel-Anbau scheidet Senf aufgrund seiner Anfälligkeit gegenüber vielen Kartoffelnematoden als Zwischenfrucht jedoch aus
- Insektizide: Im Frühjahr 2025 wurden im Kartoffel- und Rübenanbau Notfallzulassungen für Insektizide nach Warndienstaufruf erteilt. Geprüft wird die Erteilung derzeit noch für Möhren, Sellerie und Rote Beete
Fazit
Hohe Bedeutung in der Strategie gegen die Schilf-Glasflügelzikade haben ein gutes Auge, um Schäden frühzeitig zu erkennen. Einem Warndiensthinweis folgend, ermöglichen Notfallzulassungen eine insektizide Bekämpfung zur Hauptflugzeit der adulten Zikaden in Zuckerrüben und Kartoffeln. Wichtig ist dann vor allem die Anbauplanung nach der Hackfrucht. Oberste Priorität sollte der Verzicht auf enggestellte Hackfrüchte in der Fruchtfolge haben. Ergänzend sollte, entweder durch Anlage einer Ölrettich-Zwischenfrucht mit möglichst langer Standzeit oder durch Schwarzbrache, Bodenruhe auf betroffenen Schlägen eingehalten werden.